Artikel Ärzteblatt Medizin studieren, SS 2018: 15
Hubbertz-Josat, Sabine; Sappok, Ulrich
Doch was ist eigentlich MBM? Kurz gesagt ist sie eine neue Form der Stressmedizin. Begründer der MBM ist der Kardiologe Herbert Benson, ehemals Direktor des Benson-Henry Institute for Mind Body Medicine des Massachusetts General Hospital der Harvard Medical School in Boston. Er entdeckte die Relaxation Response (RR), eine durch Entspannung geprägte physiologische Antwortreaktion des Körpers.
Seine Forschungsergebnisse weisen die physiologischen Effekte der Relaxation Response nach, wie zum Beispiel reduzierter Stoffwechsel, Blutdrucksenkung, reduzierte Herz- und Atemfrequenz, erhöhte Herzratenvarianz, sinkender Cortisolwert, Beruhigung der Gehirnaktivitäten und Veränderung von Genaktivitäten. An den Universitäten im angloamerikanischen Raum nimmt die MBM bereits einen größeren Platz im Medizinstudium ein, teilweise gibt es sogar medizinübergreifende Angebote.
In Düsseldorf ist die MBM dem Institut für Allgemeinmedizin angegliedert; ansonsten findet man sie nur an vereinzelten Universitäten, wie beispielsweise Essen, Witten und Berlin. „Dieses Wahlfach hat meinen Blick auf viele Aspekte im Unialltag und in der Klinik verändert“, berichtet ein Studierender. „Ich denke, dass ich vieles von der MBM mitnehmen kann, nicht nur professionell, sondern auch für mich persönlich.“ Die Inhalte eines MBM-Kurses sind vielfältig: Salutogenese, Relaxation Response, Placebo-Nocebo, Achtsamkeit (mindfulness based stress reduction), Herzratenvarianz, Imagination, salutogene Kommunikation, Empathie und Selbstmitgefühl. Der Kurs ist stark selbstreflektorisch geprägt und gibt den Studierenden die Möglichkeit, die Thematik für sich als Privatperson und in ihrer zukünftigen ärztlichen Rolle zu entdecken. ■
Kölner Rundschau
„Wir erlauben es Körper und Geist, Gesundheit zu entwickeln und damit die Krankheit zu bewältigen.“ Sagt Dr. Anna Paul, deren Fachgebiet an der Klinik für Naturheilkunde am Knappschaftskrankenhaus in Essen-Mitte die Mind-Body-Medizin ist. Ordnungstherapie ist die etwas sperrige deutsche Definition und hat weder etwas mit Wellness noch mit ordentlich gestapelten Hemden im Schrank zu tun. Zusammen mit Prof. Dr. Gustav Dobos, Pionier naturheilkundlicher Verfahren, gehört sie zu den Wegbereitern dieser ganz besonderen Klinik im Ruhrpott. Das Fachgebiet von Anna Paul lässt sich gut umschreiben mit dem, was eine Patientin äußerte: „Man muss nicht alles mögen, man muss es einfach tun. 30 Minuten am Tag, das ist wie eine Verabredung mit mir selbst.“ Diese Verabredungen mit sich selbst hat auch die bekannte TV-Moderatorin Bettina Böttinger gelernt. Sie hatte sich Hilfe bei Gustav Dobos, Anna Paul und den anderen Fachärzten in der Klinik geholt, „weil ich dachte, dass ich irgendwann implodiere“. Das Ärzteteam der Klinik steht auf dem Standpunkt, dass „jeder auch gesunde Anteile hat“, egal wie krank er ist. Die gesund machenden Ressourcen sind zum einen genetisch bedingt, zum anderen durch den eigenen und den Lebensstil im Elternhaus geprägt.
Therapien werden bestmöglich kombiniert
Anna Paul, die in München und Harvard studierte: „Es gibt große Studien, die unter anderem darauf hinweisen, dass Risikostrukturen für Herzerkrankungen, Bluthochdruck und Infarktgefahr zu zehn Prozent genetisch, hauptsächlich aber durch den Lebensstil bedingt sind. Die genetische Disposition ist bei jedem Menschen anders. Aber der Lebensstil der Eltern, wie sie mit ihren Ressourcen umgegangen sind, und der eigene Lebensstil, der sich davon ableitet, beides prägt nachhaltig.“
In der Mind-Body-Medizin werden Therapien so kombiniert, dass sie wie ein Mosaik zusammen passen und ihre Wirkung entfalten können. Anna Paul betont, dass sie ihren Patienten ausschließlich das vermittelt, was sich hinreichend bewährt und vor allem eine solide Studienlage hat. Bedingt durch einen Unfall kämpft auch Anna Paul selbst immer wieder mit Schmerzen im Nacken, den Schultern und dem Halswirbelbereich.
Die Muskeln verkrampfen, drücken auf die Nerven, und sie muss Schmerzmittel nehmen. „Ich könnte dann nur zu Schmerzmitteln greifen oder zusätzlich meine Ressourcen aktivieren.“ Dazu gehören Übungen, die den Schmerz eingrenzen, ihn minimieren und verhindern, dass er chronisch wird. Das schafft man nicht im Hauruck-Verfahren, denn Mind-Body-Medizin ist keine Akut-Medizin. Anna Paul: „Wer auf den Mount Everest will, der muss vorher trainieren. So ist das auch bei Mind-Body-Medizin.“ Und bedeutet: Der Patient bestimmt maßgeblich mit, nur dann haben Therapien nachhaltigen Effekt. Die, die in die Klinik nach Essen zu Anna Paul kommen, wandeln sich zu 50 Prozent vom Saulus zum Paulus. Die Mehrzahl der Bekehrten sind Frauen. Männer, die oftmals auf dem Standpunkt stehen „was von alleine kommt, geht auch wieder von allein“, entschließen sich erst dann zu einer Therapie, wenn sie im Vorfeld bereits teilüberzeugt sind. Haben sie sich einmal entschlossen, gehören sie hinterher allerdings zu den bedingungslosen Verfechtern dieser Therapie. Aber es gibt auch jene, die rauschen rein, gucken sich um und stellen konsterniert fest: „Was, hier gibt es noch nicht mal einen Fernseher?“ Und weg sind sie.
Die Welt
Die sogenannte Mind-Body-Medizin bietet sowohl Naturheilkunde als auch einen wissenschaftlich fundierten Ansatz. So kann der Körper Krankheiten Widerstand leisten.
Schulmedizin und Naturheilkunde stehen oft als scheinbar unvereinbar nebeneinander. Gleichzeitig wächst aber auf beiden Seiten die Erkenntnis, dass sie sich keinesfalls ausschließen müssen. Die sogenannte Integrative Medizin kombiniert beides miteinander, damit eine gemeinsame und wirksamere Behandlung möglich wird. Als „Mind-Body-Medizin“ stabilisiert sie die Selbstregulation des Menschen, um die medizinisch notwendige Behandlung positiv zu begleiten.
Diese Stärkung der eigenen Kräfte kann nicht nur kranken, sondern auch gesunden Menschen guttun. „Im Großen und Ganzen geht es um Achtsamkeit, Entspannung und Veränderung des Lebensstils“, sagt Anna Paul, die an dem 2005 gegründeten Lehrstuhl für Naturheilkunde der Universität Duisburg-Essen Mind-Body-Medizin erforscht und lehrt.
Der englische Begriff „Mind“ wird in diesem Zusammenhang am besten übersetzt mit „Bewusstsein“ für den eigenen Körper („Body“). Die sehr komplexe Mind-Body-Medizin hat ihre Ursprünge in amerikanischen Wissenschaftszentren. Nach der Definition der US-Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH) zielt sie unter anderem auf die Interaktionen und Beziehungen zwischen Gehirn, Geist, Körper und Verhalten ab.
Die gesundheitsfördernden Potenziale, die in jedem Menschen schlummern, können auf verschiedene Wege geweckt werden. „Es hängt, wie oft in der Naturheilkunde, von dem Menschen selbst ab“, erklärt Paul. Die Basis für einen Erfolg der Methode, die auch Ordnungstherapie genannt wird, ist die innere Haltung, sich selbst wahrzunehmen. „Wir fördern die Fähigkeit der Menschen zur Achtsamkeit sich selbst gegenüber“, erklärt sie. Erst dann beschäftigt sich das medizinische Konzept konkret mit den Themen Ernährung, Bewegung, Entspannung und Stressvermeidung. Dazu können Methoden wie Yoga, Qigong oder Autogenes Training gehören, ein individuelles Sportprogramm oder eine bewusste und gesunde Ernährung.
In der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin in Essen begleitet die Mind-Body-Medizin seit 1999 schulmedizinische Therapien. Das Behandlungsspektrum ist breit und reicht von Krebs- über rheumatische Erkrankungen bis hin zu Schmerzsyndromen wie Migräne oder koronaren Herzerkrankungen. „Integrative Medizin bedeutet für uns, dass wir uns aus den Medizinsystemen das nehmen, was das Beste für den Patienten ist“, sagt Paul als Leiterin der Ordnungstherapie an der Klinik, der auch eine Tagesklinik angegliedert ist.
Bei den meisten der bislang rund 20.000 Patienten sei nach der Behandlung zu beobachten, dass sie in ihrem Alltag stärker auf Selbstfürsorge achten. Daten belegten, dass Patienten weniger Medikamente nehmen müssten und vitaler seien, erklärt Paul. Die Kosten für einen stationären Aufenthalt sowie für die Tagesklinik werden von allen gesetzlichen Krankenkassen getragen. Ebenso praktizieren niedergelassene Ärzte die Integrative Medizin.
Aber auch Menschen ohne Beschwerden oder diagnostizierte Krankheiten können Selbstheilungskräfte gut gebrauchen, um gesund zu bleiben. Mind-Body-Medizin für die gesunde Bevölkerung aufzubereiten, hat sich der Allgemeinmediziner und Wissenschaftler Professor Tobias Esch zur Aufgabe gemacht. „Mich hat immer fasziniert, was es bedeutet, den Fokus bei Gesunden darauf zu richten, die eigenen Potenziale und Selbstheilungskräfte zu aktivieren“, fasst er zusammen.
So kam ihm gemeinsam mit seiner Frau, ebenfalls Ärztin, die Idee zur Gründung des Instituts für Mind-Body-Medizin in Potsdam. Im Rahmen eines Gesundheitstrainings werden die Inhalte der Mind-Body-Medizin für Unternehmen, Institutionen und Einzelpersonen angeboten.
Um aber die Inhalte und den Nutzen der Mind-Body-Medizin innerhalb einer betrieblichen Gesundheitsförderung in Unternehmen zu vermitteln, müsse das Thema mitunter unter einem anderen Begriff eingeführt werden. „Das kann bedeuten, dass man die Instrumente der Mind-Body-Medizin in der Wirtschaft etwa im Rahmen von ‚Stressmanagement‘ oder ‚Gesundheitscoaching‘ anbietet“, ergänzt Esch, der den Studiengang Integrative Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg aufgebaut hat. In Zeiten, in denen das Thema Burn-out öffentlich viel diskutiert wird, öffnen sich nach den Worten Eschs auch zunehmend Unternehmen, um Prävention vor allem mit dem Schwerpunkt Stressbewältigung zu betreiben. Neben dem alltäglichen Stress in der beschleunigten Welt fehle vielen Menschen die Fähigkeit, zur Besinnung zu kommen